Gaia-X Summit 2021: Europa macht den Unterschied

Von Nils Klute, Projektmanager Kommunikation EuroCloud Deutschland

Nationale Datenmarktplätze demokratisieren, die nicht Einzelne, sondern alle zu Gewinner:innen machen – welchen Unterschied Gaia-X auf dem Boden europäischer Werte und Standards macht, stand jetzt mit im Fokus auf dem Gaia-X Summit 2021. Unter dem Kongressmotto „Here to deliver“ präsentierte auch Andreas Weiss vom eco Verband die Ergebnisse seiner Arbeit.

Gaia-X muss sich messen lassen. In Zeiten, in denen einige Kritiker:innen bereits den Abgesang auf die Initiative anstimmen („Sag beim Abschied leise Servus – die stumme Agonie von Gaia-X“ in IT-Business, „Europas Cloudprojekt droht zu scheitern“ im Manager Magazin oder „Wann hört das ‚Bullshit-Bingo‘ endlich auf?“ in der WirtschaftsWoche), schlägt die europäische Vereinigung für Daten und Cloud auf ihrem zweiten Summit ganz andere Töne an. In 5 Jahren wird Gaia-X den weltweiten Markt bedienen. Was dabei auf dem Spiel steht: „Die Cloud-Nutzung in Europa liegt bei nur 26 Prozent“, sagte Francesco Bonfiglio, CEO bei Gaia-X AISBL. Was bislang fehlt: Eine vertrauensvolle und souveräne Dateninfrastruktur. „Bringen wir mehr Unternehmen in die Cloud, lassen sich Skaleneffekte erzielen und Werte übergreifend schöpfen“, sagte Bonfiglio. Werte, die sich im Jahr 2023 auf ein volkswirtschaftliches Potenzial von rund 45 Milliarden Euro aufsummieren können – dank Gaia-X.

Transparenz und Vertrauen sind die Lösung

Fakt ist: Gaia-X ist kein Wunschtraum einiger technologischer Nerds, sondern eine reale Notwendigkeit im Interesse der Gesellschaft. Denn während der Wert von Daten exponentiell wächst, nimmt die Möglichkeit ab, souverän über eigene Daten zu entscheiden. „Uns fehlt das Mitspracherecht“, sagte Britanny Kaiser im Eröffnungsimpuls. „Wir durchschauen nicht, was mit unseren Informationen geschieht, profitieren selbst nicht, liefern dagegen nur an einige wenige Konzerne.“ Vertrauen und Transparenz sind für Kaiser unverhandelbare Lösungsbausteine, um eine digital erfolgreichere, bessere und gerechtere Welt entstehen zu lassen. So entwickelte Kaiser beispielsweise 2008 im Wahlkampf-Team von Barack Obama erstmals eine daten-getriebene Social-Media-Strategie, die Nicht-Wähler:innen an die Urnen brachte. Zehn Jahre später legte sie als Whistleblowerin die Machenschaften von Cambridge Analytica offen. Das Datenanalyse-Unternehmen hatte über Facebook öffentliche Meinungen manipuliert. Zwei Erfahrungen, die sie bis heute prägen. Und zwei Ereignisse, die deutlich machen, welchen Unterschied eine Datenökonomie auf dem Boden europäischer Werte und Standards machen kann.

Souveränität erzeugt Wachstum und Geschwindigkeit

Daten teilen, um kooperativ mehr Werte zu produzieren. Wissen austauschen, um kollaborativ Innovationen entstehen zu lassen. Und nationale Informationsökosysteme auf Märkten demokratisieren, die nicht Einzelne, sondern alle zu Gewinnern machen – Gaia-X läuft gelernten Wettbewerbsprinzipien entgegen. „Digitale Plattformen sind die digitalen Zwillinge unserer Wirklichkeit“, sagte Bonfiglio. „Egal, ob Wohlstand, Bildung oder Arbeitsmarkt – unser Schicksal hängt heute davon ab, ihre Möglichkeiten vollumfänglich auszuschöpfen.“ Warum digitale Souveränität dafür der Nährboden ist: „Weil sie uns schneller macht“, sagte Dr. Maximillian Ahrens, CTO bei T-Systems. So sind zertifizierte Gaia-X-Services immer compliance- und gesetzeskonform. „Statt Dienste einzeln prüfen und bewerten zu müssen, nimmt Gaia-X uns diese Arbeit ab“, sagte Ahrens. „Und Gaia-X lässt uns wachsen!“ Über das föderierte Datenökosystem sollen informationsbasierte Produkte entstehen, die neue Chancen auf digitale Wertschöpfung erschließen. „Dabei ist Gaia-X keine Community, sondern eine Bewegung, die eine neue Vision von digitaler Souveränität definiert“, sagte Prof. Dr. Boris Otto, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik ISST.

Erstes Set an föderierten Services im April 2022

Wie sich diese Vision in Softwarecode manifestiert, präsentierten Dr. Anne-Sophie Taillandier, Director bei IMT, und Andreas Weiss, Geschäftsbereichsleiter Digitale Geschäftsmodelle bei eco. Gemeinsam arbeitet das deutsch-französische Team daran, die Federation Services von Gaia-X zu realisieren. Horizontale Dienste, die für alle Nutzer:innen des Ökosystems bereitstehen, um beispielsweise Identitäten zu managen, Services zu katalogisieren oder Compliance-Anforderungen einzuhalten. „Wir zeigen keine Power-Points mehr“, sagte Taillandier. „Stattdessen aber ein definiertes Set an Diensten, die sich selbst organisieren, um Daten und Infrastruktur zusammenzuhalten“, sagte Weiss. Gefördert von den Wirtschaftsministerien der beiden Länder treiben sie mit ihren Teams das Projekt voran, schreiben Arbeitspakete aus und steuern die Realisierung. „Im April 2022 liegt der Softwarecode für priorisierte Dienste vor“, sagte Taillandier.

Catena-X steigt Mitte 2022 in den Markt ein

Die Zeit drängt. Mit Catena-X hat sich die Automobilindustrie auf die Überholspur gesetzt. 28 Unternehmen organisieren sich in dem Projekt; darunter nicht nur erwartbare deutsche Größen wie BWM, Bosch, Mercedes Benz oder Volkswagen, sondern neuerdings internationale Zulieferer:innen (zum Beispiel Valeo aus Frankreich und Stellantis aus den Niederlanden) und außerdem vermeintlich branchenfremde Konzerne wie Henkel: „Das Geschäft von Henkel ist stark mit dem Automobilbau verflochten“, sagte Oliver Ganser, CEO bei Catena-X. Vielschichtig verflochten sind auch die Liefer- und Wertschöpfungsnetzwerke, die Catena-X branchenweit digital abbilden soll, um Produktionsprozesse zu harmonisieren, Ressourcen zu schonen und ökologischer zu fertigen. „Catena-X macht die Kreislaufwirtschaft real“, sagte Ganser. So sollen Daten zwischen allen Akteur:innen fließen, um den Lebenszyklus des Automobils nachhaltig zu optimieren – vom ersten Rohstoff bis zum letzten Recyclingprodukt. Kleine und mittlere Unternehmen wie LRP Autorecycling sind mit von der Partie, wenn Catena-X, vollständig Gaia-X konform, Mitte 2022 in den Markt einsteigen wird.

Haltungsfrage Gaia-X: Kritik gehört dazu

12 Jahre benötigte Jeff Bezos, um sich vom Online-Buchhändler zum Cloudanbieter zu mausern. 19 Jahre brauchte Elon Musk, um nicht nur Elektroautos, sondern Tourist:innen ins Weltall zu schießen. Jetzt bittet Gaia-X Europa um 5 Jahre Vertrauen. In einer Zeitspanne, die ein typisches Masterstudium dauert, möchten die mittlerweile über 300 Mitglieder der Initiative Datensilos sprengen, private, öffentliche und unternehmerische Interessen ausgleichen und nichts anderes als den digitalen Binnenmarkt eines kompletten Kontinents abheben lassen. Dass sich technologischen Fragen gemeinschaftlich lösen lassen, steht außer Frage – gerade erst hatte die Generaldirektion der EU-Kommission für Wettbewerbspolitik die Art und Weise der Zusammenarbeit von Gaia-X ausdrücklich gelobt. Entscheidend ist jetzt die Haltung jedes Einzelnen, die es braucht, um die sich bietenden Chancen auch zu erkennen. Worauf es ankommt: „Ergebnisse zeigen, Transparent kommunizieren und in Skalierbarkeit investieren“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Und was Bonfiglio den Kritiker:innen sagt: „Zuerst glaubt einem keiner, dann wird man kritisiert und am Ende akzeptiert. Insofern schreiten wir auch in dem Punkt voran.“ Mehr als 5.000 Menschen nahmen am 18. und 19. November am Gaia-X Summit teil.

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