Warum Systemhäuser bei der Transformation eine längere Durststrecke durchstehen müssen
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Warum Systemhäuser bei der Transformation eine längere Durststrecke durchstehen müssen

Der Umstieg auf Managed-Services lockt mit höheren Margen und verlässlichen Umsätzen für IT-Dienstleister. Aber Vorsicht: Ein neues Leistungsversprechen gibt es nicht umsonst. In einer Minireihe zum Thema Finanzen zeige ich, wie gerade mittelständische Systemhäuser die finanzielle Durststrecke der ersten Jahre durchstehen. In der heutigen ersten Folge lesen Sie, wie die Finanzierungslücke überhaupt entsteht.

EuroCloud bloggt für den Systemhausmarkt

An dieser Stelle sowie auf EuroCloud.de schreiben @Felix Höger und ich in Zukunft regelmäßig über den Systemhausmarkt und die Transformation unserer Branche in Richtung Cloud. Anlass ist die Systemhausinitiative Channel2Cloud, die wir bei EuroCloud, dem Verband der Cloud-Wirtschaft in Deutschland, gestartet haben.

Managed-Service aus finanzstrategischer Sicht

In meinem letzten LinkedIn-Post habe ich erklärt, wie Systemhäuser im Wandel unternehmensinterne Vorbehalten vor allem aus dem Vertrieb in puncto Provisionen und Deals ausräumen. Heute geht es ebenso ums Geld, aber aus einer mehr strategischen Sicht.

Die gesamte Systemhausbranche durchläuft gerade einen Strukturwandel: Weg vom klassischen Handels- und Zeit-gegen-Geld-Geschäft hin zu standardisierten IT-Diensten, vorzugsweise aus der Cloud.

Die Ursachen dieses Wandels beschreibt @Felix Höger präzise in seinem Essay zur Systemhaustransformation: Die Cloud – mit Corona als Beschleuniger - dreht nicht nur die IT-Landschaften im Mittelstand auf links. Sie verändert auch die Erwartungen der Geschäftskunden an ihre IT-Dienstleister.

Managed-Services sind zum wichtigsten Dienstleistungsmodell im digitalen Wandel geworden. Mit steigender Komplexität der Business-IT treffen sie den Nerv bei Geschäftskunden.

Convenient-IT im Abo

Unternehmen wollen IT-Leistungen abonnieren, statt sich selbst um Einrichtung, Betrieb, Sicherheit(!) und Skalierung von Systemen zu kümmern. Das können Spezialisten in der Regel besser. Zudem finden Dienstleister leichter qualifiziertes Personal, das sie besser bezahlen, weil über mehrere Kunden fakturieren können. Ein weiterer Vorteil: Das Abomodell macht die früher üblichen, hohen Investitionskosten in Server-Hardware und Rechenzentrumsräume überflüssig, die auch immer noch groß genug sein mussten für den Leistungsbedarf in der nahen Zukunft.

Eine neue Nachfrage und ihre Vorteile

Aber auch den Systemhäusern als wichtigste IT-Partner für den Mittelstand bieten Managed-Services strategische Vorteile:

  1. Im Unterschied zum Handels- und Projektgeschäft sorgen Managed-Service zuverlässig für regelmäßige Umsätze.
  2. Und nicht nur regelmäßige, sondern auch langfristige Umsätze! Beim Abomodell binden sich Kunden schließlich auf zwei bis drei Jahre an einen Dienstleister.
  3. Wie ich im vorigen Beitrag schon gezeigt habe: Über die Abo-Laufzeit hinaus bleiben Kunden ihrem Managed-Services-Provider im Durchschnitt länger treu. Die Standardisierung der Dienste erhöht die Qualität und damit die Kundenbindung. Zudem ersetzen Pauschalpreise die Abrechnung auf Stundenbasis - ein häufiger Streitpunkt zwischen Dienstleistern und Kunden.
  4. Standardisierte IT-Dienste bieten nach Ansicht des Channels zudem das größte Wachstumspotenzial im Markt, insbesondere bei Security Services.
  5. Das Hauptargument für Systemhäuser aber ist die Marge!

Die Gewinnspanne erhöht sich um den Faktor 2 bis 4

Das konventionelle Handelsgeschäft mit Hard- und Software generiert in der Regel einstellige Margen zwischen 5 und 10 Prozent. Mit Dienstleistungen lässt sich schon das Doppelte erwirtschaften.

Managed-Services, also standardisierte Dienste, ermöglichen sogar Gewinnspannen von 25 bis über 30 Prozent.

In einem ausgereiften Geschäftsmodell für Managed-Services kann ein Systemhaus seinen Deckungsbeitrag mindestens verdoppeln, im besten Fall vervier- oder verfünffachen. Zugleich verstetigt das Abomodell die Beziehung zum Kunden. Standardisierung und Professionalisierung steigern die Chance zur Kundenbindung.

Welches Systemhaus, das vorwiegend im Handels- und Beratungsgeschäft aktiv ist, kann mit diesen Margen langfristig kalkulieren?

Höheren Profit gibt es nicht zum Nulltarif!

Diese Zahlen mögen sich wie eine rosige Wachstumsstory lesen – erst recht, wenn man hinzurechnet, dass deutsche IT-Landschaften eine gewaltige Migration in die Cloud durchlaufen - und der Mittelstand gefühlt erst zehn bis fünfzehn Prozent dieses Weges zurückgelegt hat. Klingt das nicht nach einer „gmahden Wiesn“, wie die Bayern sagen?

Eindeutig nicht! Die Erwartung ist trügerisch, dass sich ein Managed-Service schon als Pilotprojekt von Anfang an rechnet und dann fröhlich wächst. Die folgende (vereinfachte) Grafik veranschaulicht, wie sich der Wechsel auf Managed-Services tatsächlich auf die Liquidität eines Systemhauses in der Transformation auswirkt.


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In den ersten Jahren fließt erst einmal Geld ab, statt mehr hinzu!

Dienstleister müssen sich darauf einstellen, dass Managed-Services sich erst nach einer Durststrecke von zwei bis fünf Jahren rechnen. Ursache sind zum einen die veränderten Erlösströme und zum anderen Anfangsinvestitionen, die vor allem kleine und mittlere Systemhäuser nicht unterschätzen dürfen.

Im konventionellen Systemhaus speisen sich die Erlösströme vor allem aus zwei Quellen:

  1. Verkauf von Hardware und Lizenzen,
  2. sowie Techniker- und Beraterstunden für die Integration von Systemen beim Kunden.

Diese Umsätze realisieren Dienstleister auf einen Schlag, d.h., die Liquidität fließt sofort und in vollem Umfang zu.

Managed-Services generieren dagegen vorwiegend einen Erlösstrom: in Form einer Monatspauschale für bezogene IT-Dienste. Die Liquidität fließt nicht sofort zu. Der Dienstleister kann seine Aufwände nur über die Laufzeit des Abo-Vertrags in Rechnung stellen und geht somit in Vorleistung. Selbst wenn Managed-Services von Anfang an profitabel sind, streckt sich der Zufluss von Liquidität über einen Zeitraum bis zu drei Jahren.

Vertriebserfolge im neuen Geschäftsfeld sind also mit deutlicher Verzögerung und immer nur portionsweise in der Kasse spürbar. Erst mit Aufbau einer ausreichend großen Stammkundschaft wendet sich das Blatt. Dann sorgen Managed-Services für einen stetigen Zustrom von Umsätzen mit zweistelligen Deckungsbeiträgen. 

Investitionen in ein neues Leistungsversprechen

Vor allem in den ersten Jahren belastet ein weiterer strategischer Aspekt den Cashflow: Als Managed-Services-Provider müssen Systemhäuser zum ersten Mal ein wirklich eigenes Leistungsversprechen entwickeln.

Im Handelsgeschäft sind es die Hersteller, die den Großteil der Wertschöpfung erbringen, entsprechend gering fällt die Marge für den Händler aus. Bei Managed-Services hingegen erhöht sich der Wertschöpfungsanteil für das Systemhaus beträchtlich. Aber so wenig, wie sich ein Autohändler ohne Investitionen zum Mobilitätsdienstleister verwandelt, wird aus einem Verkäufer von Hardware und Integrationsleistungen auf Stundenbasis ein Managed-Services-Provider, der hoch standardisierte Dienste gleichsam wie aus einer IT-Factory anbietet.

Dazu muss das Systemhaus erst die Voraussetzungen schaffen und in neue Fähigkeiten, Prozesse, Produkte und Personal investieren. Das kostet eine ganze Weile Geld, bevor es welches einbringt.

Marge wächst mit Fokus & Automationsgrad

Dabei gilt: Der entscheidende Stellknopf für die Marge ist die Automation der eigenen Service-Factory. Je effizienter und standardisierter ein Managed-Services-Provider seine Dienste produziert, desto größer die Skalenvorteile und der Profit.

„Factory“ meint nicht notwendig den Aufbau eines eigenen Rechenzentrums. Hierbei geht es darum, Aufgaben in einer typischen IT-Landschaft in Dienste zu übersetzen, die ein Systemhaus in möglichst gleichförmiger Weise für alle seine Kunden erbringt und über pauschale Gebühren abrechnet. Jede Sonderlocke, die vom Standard abweicht, verwässert das Standardisierungsprinzip und schwächt die Effizienz der Gesamtperformance.

Statt also mit einem weißen Blatt Papier zum Kunden zu marschieren, all seine Wüsche darauf zu notieren und einen Preis darunter zu setzen, muss ein Managed-Services-Provider die Probleme seiner Kunden möglichst weitgehend aus dem Standardbausatz lösen.

Services technisch und kaufmännisch planen

Investieren müssen Systemhäuser entlang der kompletten Wertschöpfungskette für Managed-Services, und schon am Reisbrett müssen sie Münzen einwerfen.

Eine Dienstleistung wird erst zum Managed-Service, wenn Sie sie für eine ganze Reihe von Kunden erbringen. Skalierungsfähigkeit ist das Stichwort. Damit wird die Tragweite folgender Fragen klar:

  • Auf welchem Technologiestack setzen wir die Lösungen um?
  • Was genau leisten wir zu welchem Preis?
  • Was garantieren wir dem Kunden?
  • Können wir das überhaupt?
  • Müssen wir eigene Systeme anschaffen oder greifen wir auf Colocation- oder Housing-Infrastrukturen bzw. gleich auf Cloud-Dienste zurück?
  • Welche Aufgaben lagern wir an spezialisierte Partner aus, etwa im Bereich Networking oder Field-Services?

Einen ganzen Stab von Fachkräften und Experten aufbauen

Ist der Service auf dem Reißbrett konzipiert, muss er „produziert“, also umgesetzt werden. Dazu braucht es:

  • Beratung,
  • einen 24x7-Betrieb des Dienstes auf eigener oder fremder Infrastruktur,
  • sowie einen mehrstufigen 24x7-Service-Desk.

Schließlich muss ein Systemhaus seine neuen Leistungen auch verkaufen. Aber es ist ein Unterschied, Hardware zu verkaufen oder individuelle Probleme beim Kunden mittels standardisierter Services zu lösen. Systemhäuser müssen einen technischen Vertrieb aufbauen.

Dazu kommen Service-Experten, Produktmanager und Marketer sowie IT-Experten, die sich gerade im Cloud-Umfeld ihren Job aussuchen können. Auf allen Wertschöpfungsebenen braucht ein Systemhaus neue Fachkräfte und Experten, die ein Gehalt auch dann erwarten, wenn ihr Geschäftsbereich noch keine schwarzen Zahlen schreibt.

Vorsicht vor kurzfristigem Kampagnendenken

Die Gefahr ist, dass Systemhäuser den Aufbau von Managed-Services zu opportunistisch und wenig strategisch angehen:

  • weil es der Wettbewerber macht, 
  • weil es ein Großkunde fordert, 
  • weil sich Piloten dank der hohen Marge vermeintlich selber tragen.

Je stärker ein Systemhaus seine Ressourcen aber in den neuen Geschäftsbereich Managed-Services verlagert, desto schneller sinken die Umsätze im Handels- und Projektgeschäft.

Im nächsten Beitrag zeige ich Wege auf, wie insbesondere einem mittelständischen Systemhaus nicht die Puste ausgeht und wie es etwa Gesellschafter und Kapitalgeber davon überzeugt, die Durststrecke als das zu sehen, was sie in Wahrheit ist: Der Weg zu mehr Wachstum und einem zukunftsfähigen Systemhausgeschäft.

Alle Aktionen zur EuroCloud-Systemhausinitiative auf Channel2Cloud.de

Herzlichen Dank, dass Sie bis hierhin am Ball geblieben sind! Alle Beiträge und Aktionen der Systemhausinitiative von EuroCloud finden Sie im Überblick auf unserer Seite https://www.eurocloud.de/channel2cloud.

Herzlichst, Ihr Bernd Krakau

Bernhard Göth

Cloud Datacenter Provider & Wine Native

3y

Sehr gut beleuchtet! Die Frage ist, warum zögern viele kleinere und mittlere SHs schon seit Jahren diesen Schritt zu gehen? Und wenn sie es dann „versuchen“, warum glauben sie meist, den ganzen stack selbst erbringen erbringen zu müssen?!

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